Projektbeschreibung

Das von der Thyssen-Stiftung finanzierte Projekt „Morphologie von Modalverben“ (MoMo) beschäftigt sich mit grammatischer Variation in den Dialekten des Deutschen. Dialekte sind von großem Nutzen für sprachwissenschaftliche Fragestellungen, u.a. weil sie es erlauben, minimale Unterschiede in sprachlichen Systemen zu identifizieren und für die sprachwissenschaftliche Beschreibung und Modellierung zu erschließen. Dadurch wird es möglich, Variation im Großen (d.h. zwischen Sprachen) mit Variation im Kleinen (d.h. innerhalb einer Sprache) zueinander in Beziehung zu setzen.

Der Bereich, um den es geht, ist die Morphologie, die sich mit dem Aufbau und der Struktur von Wörtern beschäftigt. Sie fragt danach, wie grammatische Merkmale wie beispielsweise Person (ich fahre, du fährst, wir fahren usw.) oder Numerus (Haus – Häuser) ausgedrückt werden und wie sich das Verhältnis von Form und Funktion hierbei gestaltet. Von besonderem Interesse sind Missverhältnisse zwischen diesen beiden Ebenen und die sie steuernden Faktoren. So spricht man von formaler Ambiguität (Allomorphie), wenn ein und dasselbe grammatische Merkmal auf unterschiedliche Weise morphologisch ausgedrückt wird. So wird beispielsweise die 3. Person Singular normalerweise dadurch gebildet, dass die grammatische Endung -t an die Grundform angefügt (suffigiert) wird (mach-t); es kann aber auch keine Endung vorhanden sein wie im Falle der Modalverben (muss); schließlich sind auch Änderungen am Verbstamm selber möglich (fähr-t, im Gegensatz zu fahr-en). Umgekehrt gibt es den Fall, dass ein und dieselbe Wortform für ganz verschiedene Merkmalsausprägungen steht (Synkretismus). So lautet die feminine Artikelform die sowohl für den Nominativ als auch den Akkusativ Singular (und Plural) gleich: die Frau[Nominativ] pfeift; man hört die Frau[Akkusativ] pfeifen; die Frauen[Nominativ Plural] pfeifen; man hört die Frauen[Akkusativ Plural] pfeifen usw. Bei Allomorphie und Synkretismus als morphologische Erscheinungen ergibt sich die Frage, inwieweit sie morphomisch sind, d.h. formseitige Kontraste (bzw. Zusammenfälle) ohne funktionale Entsprechung repräsentieren, oder ob sie durch semantische Faktoren oder gar Wechselwirkungen mit anderen grammatischen Ebenen motiviert sind.

Dialekte zeigen in diesem Bereich ein erstaunliches Spektrum an Unterschieden, die eine eingehendere Untersuchung lohnen. Ein solches Unterfangen stellt nicht nur ein wichtiges Desiderat in der Dialektologie dar, sondern ist auch von übergreifenderem Interesse, da morphomische Strukturen als Evidenz für die Eigenständigkeit der Morphologie als grammatische Repräsentationsebene gesehen werden und somit eine wichtige Rolle in der Architektur von Grammatikmodellen spielen.

Den empirischen Bezugspunkt bilden die Klasse der Modalverben. Als kleine, aber kognitiv hochgradig relevante Verbklasse stehen sie zwischen den Großklassen, nämlich der sogenannten schwachen und der starken Konjugation, indem sie deren typische Merkmale miteinander kombinieren. So sind stammverändernde Ausdrucksverfahren zum Ausdruck von Tempus und Numerus (z.B. darf – dürfen; kann – können) als starke Eigenschaften anzusprechen, während die suffigierende Bildung des Präteritums bzw. des Partizips II (z.B. durfte – gedurft; konnte – gekonnt) als typisch schwache Eigenschaft gelten kann. Daneben weisen die Modalverben verschiedene Sonderentwicklungen auf, die in keiner der beiden Hauptklassen anzutreffen sind: So ist etwa der Umlaut im Präsens Plural und im Infinitiv (z. B. [wir] durften – [wir] dürfen; [wir] konnten – [wir] können) eine eigenständige Neuerung, die in den Dialekten des Deutschen große Unterschiede in der landschaftlichen Ausbreitung aufweist und auch Wechselwirkungen zwischen verschiedenen grammatischen Formen zeigt.

Konjugationsklassen und die mit ihnen verbundenen Eigenschaften sind hervorragend dazu geeignet, das Wechselspiel morphomischer bzw. motivierter morphologischer Prozesse hinsichtlich Form-Funktions-Beziehungen zu untersuchen. Als Grundlage des Projekts dienen verschiedene bestehende Materialien, die für die deutschen Dialekte in großer Zahl verfügbar sind: Im Einzelnen handelt es sich dabei um grammatische Beschreibungen von Orts- und Landschaftsdialekten, Sprachatlanten (die das deutsche Sprachgebiet flächendeckend erschließen) und eine umfangreiche, elektronisch verfügbare Sammlung von transkribierten Tonaufnahmen von Dialektsprecher/innen (Zwirner-Korpus). Diese Datenquellen sind über die Plattform Regionalsprache.de sowie die Datenbank für Gesprochenes Deutsch erschlossen bzw. zugänglich.

Das Projekt soll zu zwei zentralen Ergebnissen führen:

  1. Verschiedene Publikationen zu morphomischer Variation in deutschen Dialekten, die zu einer Monographie gebündelt werden.
  2. Eine Datenbank, die die zugrundeliegenden Untersuchungsdaten zur morphologischen Variabilität zugänglich macht. Dasselbe gilt für Kartierungen zur arealen Verbreitung verschiedener Phänomene (z.B. Umlaut), die begleitend zu den Untersuchungen entstehen.

Eine ausführliche Projektbeschreibung findet sich hier.

Team

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